Humanismus im 21. Jahrhundert

Visionäre gesucht


Unter dem Begriff des Humanismus lassen sich die unterschiedlichsten Denkansätze und intellektuellen Strömungen verordnen. Der zeitlose Kern, der auch den Humanismus des 21. Jahrhunderts prägt, ist das Streben nach einer besseren, einer ganzheitlicheren Form menschlicher Existenz. Wer aber verbindet diese grundsätzlichen Vorstellungen mit den Herausforderungen unserer Zeit? Die Gesellschaft benötigt Vordenkerinnen und Vordenker, mutige Visionäre.

Von Harald Christ

Unter dem Begriff des Humanismus lassen sich die unterschiedlichsten Denkansätze und intellektuellen Strömungen verordnen. Der zeitlose Kern, der auch den Humanismus des 21. Jahrhunderts prägt, ist das Streben nach einer besseren, einer ganzheitlicheren Form menschlicher Existenz. Wer aber verbindet diese grundsätzlichen Vorstellungen mit den Herausforderungen unserer Zeit? Wer macht sich in einer Welt des schnellen und pragmatischen Handelns darüber Gedanken, wie sich die Menschheit im Gesamten weiterentwickeln kann? Die Gesellschaft benötigt Vordenkerinnen und Vordenker, mutige Visionäre. Diese wiederum benötigen Plattformen und Rückenwind zur Entfaltung. Die Förderung junger Menschen, die sich auf der Basis humanistischer Werte mit dem gesellschaftlichen Entwicklungsprozess auseinandersetzen und sich mit den komplexen Herausforderungen unserer Zeit beschäftigen, ist entscheidende Aufgabe unserer Gesellschaft. Damit diese in der Lage ist, entsprechende Talente hervorzubringen, muss eine Ermöglichungskultur geschaffen werden, in der sich jede und jeder entfalten kann. Ermöglichung durch chancengleiche Bildung und Digitalisierung nahe an den Bedürfnissen der Menschen und unserer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft. Aber gerade hier hat die Bundesrepublik großen Nachholbedarf:

Seit Jahrzehnten verpasst es Deutschland, die hervorragende Basis eines wohlhabenden Staates für eine entsprechend erfolgreiche Bildungspolitik zu nutzen. Noch immer schneidet Deutschland bei der PISA-Studie der OECD schwach ab. Im Bereich der Bildungsgerechtigkeit sind wir weiterhin unterdurchschnittlich: Nur 32,3 Prozent der sozialschwachen Schüler schnitten 2015 mit soliden Leistungen ab – ein Zeugnis des Versagens deutscher Bildungspolitik [1]. Eine Erkenntnis aus diversen Studien ist seit längerem, dass der Besuch einer Krippe und danach einer KiTa äußerst bildungsfördernd ist und der Bildungsungerechtigkeit entgegenwirkt. Der Besuch einer der Einrichtungen ist allerdings nicht kostenfrei. Daraus lässt sich schnell ergründen, warum gerade Kinder von sozialschwachen Familien zuhause bleiben. Bei Kindern mit Migrationshintergrund ist das Problem ähnlich. Nur eine kostenlose Betreuung kann zur Bildungs- und damit zur Chancengleichheit führen. Zum Teil gibt es bereits ein länderweises Umdenken in der KiTa- und Krippen-Politik. Die aktuelle Situation zeigt aber, dass die Anstrengungen noch immer nicht ausreichen.

Das lähmende Element in der Bildungspolitik ist meiner Ansicht nach das föderale Prinzip, nachdem unser Bildungswesen funktioniert. Es verhindert durchgreifende Reformen und eine solide Finanzierung. Bildung wird hier zum Teil als Wettbewerb zwischen den Ländern begriffen. Aufgrund von Vergleichsstudien werden kurzfristig angelegte Justierungen vorgenommen, um im folgenden Jahr gegenüber den anderen Ländern besser abzuschneiden. Der Bogen ist längst überspannt, der Bund muss in Zukunft die Richtlinien der Bildungspolitik bestimmen.

Neben einer Entwicklung des gesamten inländischen Bildungsangebots für alle Bürgerinnen und Bürger wird die kluge Steuerung der Fachkräftezuwanderung für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands entscheidend sein. Deutschland ist nicht das einzige Land, das händeringend nach qualifizierten Fachkräften sucht und dementsprechend müssen Hemmschwellen fallen und die Angebote an Zuwanderer nicht halbherzig sein. Die technischen Möglichkeiten sind gegeben, um einen hundertprozentig digitalen Prozess zur Einwanderung zu schaffen, sodass Bewerberinnen und Bewerber aus aller Welt die Möglichkeit haben, als Fachkräfte nach Deutschland zu kommen. Zentrale Plattformen zur Jobvermittlung und integrierte Sprachkurse sind dabei unerlässlich. Für den Aufbau der digitalen Infrastruktur sollten die profitierenden Unternehmen beratend herangezogen, sowie an den Kosten beteiligt werden. Personen, denen bereits ein Jobangebot in Deutschland vorliegt, müssen vom System bevorzugt behandelt werden. Ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild hat sich als erfolgreiches Modell bewährt.

Nicht nur im Bereich der Bildung, sondern auch in der Digitalisierung – dem größten Treiber des aktuellen gesellschaftlichen Umbruchs – müssen und können Antworten gefunden werden, die den Leitwerten Toleranz, Solidarität und die Freiheit entsprechen. Dieser Prozess muss klug gesteuert werden, denn die rasante Entwicklung birgt neben Chancen auch Herausforderungen. Unkontrollierter Arbeitsplatzabbau aufgrund der Automatisierung von Arbeitsabläufen oder die Möglichkeit manipulativer Einflussnahme durch Datenmagneten wie Amazon, Facebook oder Google können dazu führen, dass die Digitalisierung nicht der Menschheit allgemein zugutekommt, sondern nur denen, die ihre Position und ihr Knowhow für opportunistische Zwecke ausnutzen.

Als Gesellschaft müssen wir uns der Tatsache stellen, dass viele unserer Strukturen den aktuellen Anforderungen einer chancengleichen Bildung und innovationsfreundlicher wie partizipativer Digitalisierung nicht mehr gewachsen sind. Wir müssen sie daher umbauen, aufbrechen und neu denken. Diese Aufgabe erfordert nicht nur Wissen und Kreativität, sondern auch Mut. Sie ist aber eine Herausforderung, der sich kein gegenwärtiger oder zukünftiger Verantwortungsträger entziehen darf.
Für einen Humanismus im 21. Jahrhunderts ist es notwendig, unkonventionelle Antworten auf die Fragen der Zeit im Sinne der Leitwerte zu finden, die uns alle verbinden: Solidarität, bestmögliche Persönlichkeitsentfaltung und Toleranz. Antworten und Lösungen dürfen allerdings nicht nur im Elfenbeinturm ausgeklügelt, sondern müssen verbreitet werden. Der Ausruf ist daher klar. Denkt mutig, ermöglicht andere und tretet hinaus in die Welt! Es braucht Visionäre!

Es benötigt Foren und Netzwerke zur Verbreitung und Weiterentwicklung von Denkansätzen und Umsetzung von Lösungen. Eine solche Plattform stellt humenta dar. Es ist mir ein besonderes Anliegen, junge Menschen im Denk- und Lösungsprozess zu begleiten und den Austausch zu ermöglichen. In einer sich schnell verändernden Welt sind junge und fortschrittlich denkende Talente das größte Kapital, das wir haben.

[1] OECD (2018): PISA-Sonderauswertung: Schulerfolg sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler

Harald Christ

von Harald Christ

humenta mentor - Unternehmer und Buchautor