Humanismus im 21. Jahrhundert

Humanismus im 21. Jahrhundert


Humanismus und Aufklärung haben das Ende der Herrschaft der Kirchen, ja der Religionen insgesamt eingeleitet. Sie haben den Menschen mündig gemacht. Damit haben sie aber auch die Antworten vernichtet, die die Religionen auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, vor allem des Leidens, nach der Erklärung des Bösen und der Bedeutung des Todes gegeben hatten. Wer sich für ein humanistisches Weltbild entscheidet, verzichtet darauf, Antworten auf diese Fragen zu erhalten.

Von Bernhard Bueb

Was verbinde ich persönlich mit dem Begriff Humanismus im 21. Jahrhundert? Mir fällt spontan der Artikel 1 des Grundgesetzes, „die Würde des Menschen ist unantastbar“, ein. Der Rechtsstaat garantiert die Menschenrechte, im Rechtsstaat haben sich die Werte des Humanismus und der Aufklärung niedergeschlagen,  er ist die wohl größte Errungenschaft in der Geschichte der Menschheit. Im 18. Jahrhundert verbanden die Menschen mit Humanismus und Aufklärung die Zuversicht, dass die Menschheit  einer humaneren Welt entgegen schreitet. Karl Marx, dessen 200. Geburtstag wir dieses Jahr feiern, verkörpert in seiner Lehre die Verbindung humanistischen Denkens mit der Erwartung auf eine humanere Welt. Solche Erwartungen haben wir als Bürger des 21. Jahrhunderts begraben. Denn das zwanzigste Jahrhundert war der weltgeschichtlich grausamste Verrat an den Werten der Aufklärung. Das bedeutet kein Scheitern der Aufklärung, aber ihre Reduktion auf die Gegenwart. Wenn wir mit höchster Anstrengung an der Verwirklichung humanistischer Werte arbeiten, können wir uns glücklich schätzen, wenn wir den Status quo der letzten Jahrzehnte erhalten.

Humanismus und Aufklärung haben das Ende der Herrschaft der Kirchen, ja der Religionen insgesamt eingeleitet. Sie haben den Menschen mündig gemacht. Damit haben sie aber auch die Antworten vernichtet, die die Religionen auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, vor allem des Leidens, nach der Erklärung des Bösen und der Bedeutung des Todes gegeben hatten. Wer sich für ein humanistisches Weltbild entscheidet, verzichtet darauf, Antworten auf diese Fragen zu erhalten.

Aufgeklärte Gesellschaften haben in der Regel die Lebensbedingungen der Menschen erheblich verbessert, sie fühlen sich der Natur nicht total ausgeliefert, die Natur verliert ihren feindseligen Charakter, sie wird gezähmt, sie wird humanisiert. Ein Hartz IV –Empfänger lebt heute in Deutschland in vieler Hinsicht gesünder, bequemer und sicherer als mancher Feudalherr im Mittelalter. Aber im Mittelalter hatten alle eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, der Bettler und der Fürst. Es ist einfacher, Armut, Krankheit, Gewalt und alle Arten von Unglück zu ertragen, wenn wir eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn  geben können.

Woher nimmt der Mensch heute die Kraft, das Leben zu meistern? Ist es nicht folgerichtig, wenn Menschen in der Gegenwart aufgehen und nach dem Motto leben „Ich. Alles. Sofort“ (carpe diem), eine Verführung,  der vor allem Menschen erliegen, die von der Zukunft nichts mehr erwarten? Man führe sich einmal vor Augen, mit welchen Zukunftsperspektiven junge Menschen heute aufwachsen: Sie müssen mit der zunehmenden Sinnentleerung des Daseins, verursacht durch den Verlust der  Religion, zu Recht kommen, mit der wachsenden Überbevölkerung, mit der Ausbeutung der Lebensgrundlagen der Menschen, mit der Klimakatastrophe, mit der Vergreisung der westlichen Welt, mit der strukturellen Arbeitslosigkeit, gefördert durch die Digitalisierung, und mit einem ungezähmten Kapitalismus.

Wo finden wir einen oder besser, unseren Sinn des Lebens? Es gibt nur eine Antwort: Durch „Bildung“.

Wer ist eigentlich ein gebildeter Mensch? Der gebildete Mensch besitzt ein starkes Selbstwertgefühl und bezieht es nicht aus dem Vergleich zu anderen Menschen, weil er in sich ruht. Er kann anderen Menschen frei begegnen und sie akzeptieren, weil er sich selbst akzeptiert. Er spricht eine klare Sprache und lebt nach humanistischen Werten, die er begründen kann, für die er aber auch einsteht. Er richtet nicht über andere. Er kann genießen, weil er ein Freund der Sinne und des Maßes ist. Er ist ein glücklicher Mensch.

Der Auftrag von Familie und Schule müsste lauten, Kinder zu glücklichen Menschen zu erziehen, d.h. sie so in ihrem Selbstwertgefühl zu stärken, dass sie eines Tages ihrem Leben einen Sinn geben und damit ihres Glückes Schmied werden können.  Auch Schule muss ihnen  Gelegenheiten bieten,  humanistische Werte erfahren zu können und sie nicht nur über diese Werte belehren. Das kann gelingen, wenn sie die akademische Bildung durch vielfältige Formen des Spiels und Tätigseins  ergänzen – Theater, Musik, Mannschaftsspiele, Abenteuer und Erlebnisse in der Natur, gemeinsame Regelung der gemeinsamen Verhältnisse, also Politik, soziales Engagement.

Sie werden durch Erfahrung lernen, dass die Haltung „Ich. Alles. Sofort.“ nicht in eine lebenswerte Zukunft führt, sondern dass das Leben einen Sinn erhält, wenn sie humanistische Werte leben. Freiheit, Gleichheit, Solidarität (christlich: Nächstenliebe), Gerechtigkeit, um einige dieser Werte zu nennen, d.h. die säkularisierte christliche Ethik scheint die einzige Grundlage eines lebenswerten Lebens zu bilden. Daraus schließen manche, dass die westliche Ethik überlegen sei und die Welt erobern werde, aus christlicher Missionierungsabsicht wird eine weltliche. Davor müssen wir uns hüten.

Bernhard Bueb

von Bernhard Bueb

humenta expert - Pädagoge und Buchautor